8 – Jemand anderes


Triggerwarnung

In diesem Blog geht es um die unheilbare neurologische Erkrankung Multiple Sklerose und somit auch um mögliche Auslöser schwieriger Gefühle, Erinnerungen oder Flashbacks. Die Texte enthalten Veranschaulichungen und Sprachbilder für solche Trigger – wie Dis­­kriminierungs­erfahrungen oder Todeswunsch. Bei manchen Menschen kann dies negative Reaktionen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei dir der Fall sein könnte.
Hilfe erhältst du unter 0511 – 70 33 38 oder info@dmsg-niedersachsen.de.

Manchmal stelle ich mir vor, jemand anderes zu sein. Besonders beim Einschlafen, was dann Stunden dauert. Oder einfach, wenn ich mit meinen Gedanken alleine bin. Manchmal dreht sich mein Geist aber nicht nur um die MS an sich. Offensichtlich hat auch der mal die Schnauze voll davon.

Er dreht sich dann in eine andere Richtung und stellt sich vor, wie es wäre, wenn ich auf einer Bühne stehen würde. Einfach so und ganz spontan. Die Gastgeberin ist natürlich ein süßes Mädel, die mich zu sich rief unter dem Vorwand, ich hätte was gewonnen. Dafür müsste ich aber erst was singen. Es entwickelt sich also ein lustiges Gespräch und nachfolgend eine Abhandlung über Minnesänger. Natürlich singe ich mehrfach und fühle mich sehr gut dabei. Ich fühle mich wohl auf der Bühne und im Rampenlicht.

Mein elaboriertes Wissen über egal was rauszulassen, ist schon erhebend. Man könnte vielleicht auch ausgeprägtes Halbwissen dazu sagen, aber ich tue es nicht. Wie gesagt, ich habe das Drehbuch dazu fertig im Kopf. Und es läuft immer wieder von vorne ab. Ich, mein Bewusstsein, der bewusste Teil meiner Seele findet das gut und sonnt sich geradezu in dieser Gedankenschleife.

Vor allem liegt das an den Liedern. Sie handeln alle von Liebe. Wenn ich die zum Besten gebe, gehe ich sehr aus mir heraus. Mein Kopf sagt dazu ganz klar: Du hast früher keine Liebe bekommen bzw. du wurdest vollgestopft mit Dingen, die jemand anderes wollte. Du wurdest nicht ermuntert, du zu sein. Oft denke ich daran, dass doch sehr viel mehr in mir steckt als bisher zutage kam. Muße oder Poesie, Kunst oder Philosophie. Einfach Sein. Wirkliche Freiheit. Nicht der sein zu müssen, der ich sein soll. Kein Druck. Keine Erwartungen. Keine Hoffnungen?

Mein Herz platzt vor Traurigkeit. Gerade wenn ich Pärchen vertraut miteinander umgehen sehe. Das will ich doch auch. Dieses von mir selbst erklärte Ziel, scheint so weit entfernt. Muss ich denn mein Leben von jemand anderem abhängig machen? In solchen Momenten bin ich sehr entmutigt und traurig. Schon rein technisch kann es nicht die Lösung sein, jemand anderes zu sein. Aber Ich, nur anders. Das klingt alles sehr einfach. Gerade wenn ich diese Zeilen noch mal lese.

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