Auweia, ich habe das Gefühl, das hier wird ein ganz merkwürdiges Kapitel, ich hoffe du kannst mir folgen. Ich tue mich gerade echt schwer meine Gedanken zu sortieren….
Ich habe gestern was über Selbstfürsorge bzw. Selbstmitgefühl gelesen. Das hat ganz andere Aspekte in den Vordergrund gerückt und die Tür zu einer völlig anderen Bewusstheit aufgestoßen. Ich habe das unbestimmte Gefühl, gar nichts Positives und Konstruktives in den letzten Monaten und Jahren für mich geschaffen zu haben. Was nicht stimmt. Ich habe dem Stationsarzt in der Reha klar zu verstehen gegeben, dass ich nicht weiter kämpfen und mich
nicht weiter quälen will. Ich habe die äusseren und technischen Voraussetzungen für mein Leben mit weniger Mühe und Qual für mich entsprechend und kontinuierlich angepasst. Ich laufe z.B. nur noch mit Rollator, ich habe mich auf seine nunmehr unerlässliche Hilfe eingelassen. Ich benutze Hilfsmittel wie z.b. ein Heizkissen oder jetzt ganz neu: Handschuhe und Schuhe mit Gelfüllung zum Erwärmen und zum auf Eis legen, je nachdem was mein Körper gerade für Temperaturempfindungskapriolen schlägt. Ich habe eine Kühlweste und eine total dämlich aussehende, kühlende Kopfbedeckung. Sieht aus wie zusammengetackerte Kühlpacks um meinen Schädel herum. Und ansonsten mache ich mir das Leben einfach. Im Außen! Ich habe soweit das möglich ist, meine Mitwelt für mich weitestgehend barrierefrei gestaltet. Ob das jetzt nun freiere und breitere Laufwege in der Wohnung oder anderswo sind, das Benutzen von Schuhlöffeln, das Befreien von überflüssigem Material, das Ordnen und Strukturieren von Papierkram. Die Rente. Und natürlich das Neureglementieren von eigenen Erwartungen und Ansprüchen. Das fällt mir mittlerweile immer leichter.
Für Außenstehende mögen das alles vielleicht beschämende oder sonstwie unangenehme Dinge sein, die mich aber mittlerweile gar nicht mehr stören. Insofern habe ich mich ja schon quasi entwickelt und meine Prioritäten anders gesetzt. Aber das ist eben nur ein Teil der dazu beiträgt, mir selbst gegenüber mitfühlend zu sein. Das ist eigentlich der Teil, der nach dem Fühlen kommt. Nämlich das Annehmen von neuen Grenzen und das Zulassen praktikabler,
äußerer, technischer, materieller Erleichterungen und dem Vermögen Nein zu sagen. Ich habe scheinbar das Fühlen übersprungen. Oder es war nur eine Ahnung mit der ich wenig anfangen konnte. Ich habe das Pferd wohl von hinten aufgezäumt.
Jedoch, ich glaube zu wissen, weshalb ich mir das sicher unbewusst antue. Weil ich nicht schon wieder mich selbst als gescheitert wahrnehmen will. Weil ich nämlich immer alles alleine machen und mich alleine motivieren muss. Weil ich doch irgendwie stark sein will. Und das bin ich auch, jedenfalls bekomme ich entsprechendes Feedback gerade auch wegen meiner Texte und Selbstreflexionen. Weil niemand da ist, der auf mich aufpasst. Jemand, der mir zu verstehen gibt, dass ich nicht nach außen stark sein muss, sondern es viel elementarer ist, nach Innen stark sein zu dürfen. Danke für diese für mich doch sehr schmerzhafte weil eindeutige Erkenntnis. Und weil ich mich eigentlich wohl fühle. Jetzt wird es abgefahren! Ich habe einige Bilder im Kopf. Es gibt ja die Vorstellung der Blase, der sogenannten Bubble, in der die Menschen leben und sich bewegen. Bei mir ist es wie eine, ja eine Trutzburg, in der ich mich verstecken kann. Nicht unbedingt schön und gemütlich aber ich fühle mich hier sicher. Wie auf einer Insel, auf die ich mich zurückziehen kann. Nur gibt es hier leider viel zu viele Einschränkungen. Im Winter bleibt die Wohnung nicht warm und im Sommer kühlt sie nicht wieder ab, sie ist halt nicht energetisch saniert. Dieses verfluchte Uhthoff-Phänomen. Bisher war meine Haltung dazu: Ich halte es aus. Ich halte es durch. Hier lässt es sich so schön selbst bemitleiden. Hier kann ich in Ruhe weiter nach der blauen Blume suchen. Hier kann ich weiterhin meinem Unglück beim Wachsen zusehen.
Ich habe mich vor einiger Zeit schon auf eine Umlaufbahn um mich selbst begeben und suche das Gleichgewicht zwischen der Zentrifugalkraft, die mich ins Außen treibt und der Gravitationskraft, die mich nach Innen, zurück zu mir, zieht.
Heute morgen ist es nicht heiß in der Wohnung sondern leicht kühl bei 19,5 Grad. Ich könnte die Heizung anmachen. Im Juni! Ich habe augenblicklich später den Entschluss gefasst mich um den letzten Punkt meines Forschungsauftrages, den ich von der Sozialberaterin in der Reha bekommen habe, zu kümmern. Es gibt ja eigentlich nur eine Sache, die mich permanent runterzieht und unglücklich macht. Diese eine Sache, die mich morgens beim Aufwachen schon nervt und mich abends schwer einschlafen lässt. Die Einsamkeit nämlich. Der Gedanke, mit allem alleine da zu stehen, dass die Anderen schuld sind und ich meinen Schmerz verdient habe.
Was will ich eigentlich sagen? Die Kifferei beschränkt meine kognitiven Fähigkeiten. Die MS meine Körperlichen. Mein innerer Freak unterbricht mich in jedweder Hinsicht am laufenden Band. Ich bin mir bewusst was ich denke und ich verstehe diese Sache mit dem Selbstmitgefühl. Und in Teilen, in großen Teilen sogar, bin ich mir gegenüber schon achtsam. Aber es scheint als wäre dieses Selbstmitgefühl-Ding die größte Baustelle meines Lebens. Umhüllt von einer Doppelmembran die durchaus äußere Einflüsse akzeptiert aber im Zwischenraum einige wichtige Dinge verhungern lässt. Ich schätze, das hat nicht nur mit der MS zu tun. Du erlebst mich total verwirrt. Ich weiß gar nicht was ich wirklich will. Was ich wirklich wirklich will. Ich weiß gar nicht wer ich eigentlich bin. Ich arbeite dran. Tatsächlich habe ich gar keine andere Wahl, die Büchse der Pandora habe ich ja nun aufgemacht und da freue ich mich nun die Suppe auch auszulöffeln. Wirklich! Ich habe in der Vergangenheit schon einige schmerzhafte Erfahrungen gemacht und gelernt damit umzugehen. Ich habe immer andächtig und mit Riesenrespekt auf Leute reagiert, die sehr mit sich selbst im Einklang zu sein schienen und sich eben nicht selbst für andere Menschen und irgendwelche Erwartungen haben erweichen lassen. Nicht überreden ließen, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse hinten anzustellen. Die im Gegenteil ganz und gar bei sich waren. Die offensichtlich gesund mit sich selbst umgegangen sind. Vermutlich, weil sie einen Weg gefunden haben, sich zu fühlen und diesen Gefühlen Raum geben konnten. Ich kann das noch nicht und komme mir irgendwie schäbig vor. Ich wirke auf mich wie jemand, der Hilfe vermitteln will, dem aber selbst nicht zu helfen ist? Ja, wie gesagt ein merkwürdiges Kapitel! Ich habe mich selbst bewusst noch nie so durcheinander wahrgenommen….