7 – Es sind jetzt 232 Tage

April 2020

Triggerwarnung

In diesem Blog geht es um die unheilbare neurologische Erkrankung Multiple Sklerose und somit auch um mögliche Auslöser schwieriger Gefühle, Erinnerungen oder Flashbacks. Die Texte enthalten Veranschaulichungen und Sprachbilder für solche Trigger – wie Dis­­kriminierungs­erfahrungen oder Todeswunsch. Bei manchen Menschen kann dies negative Reaktionen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei dir der Fall sein könnte.
Hilfe erhältst du unter 0511 – 70 33 38 oder info@dmsg-niedersachsen.de.

Es ist Anfang April '20 am Anfang der Corona-Krise und ich sitze in meinem schönen Garten bei perfekten 23 Grad und nehme mir endlich mal Zeit für mich. Die letzte Zeit habe ich natürlich auch einiges für mich getan, aber es ist ein Unterschied, ob man mit den Händen etwas tut oder mit dem Kopf. Mit dem Kopf zu arbeiten ist oft schwer, manchmal tut es sogar weh. Ich habe lange Zeit versucht, Ordnung in das Chaos in meinem Kopf zu bekommen, was mir nicht immer gelang. Oft habe ich einfach keine Kontrolle über das, was in meinem Oberstübchen abgeht.

Ich habe wieder einige Therapiestunden hinter mir. Die Gespräche mit meiner Therapeutin tun mir gut. Wir sind sehr ehrlich zueinander. Wiederholt hat sie mir gesagt, ich würde nicht an den Hausaufgaben arbeiten. Was nicht unbedingt stimmt, denn vieles läuft bei mir im Kopf ab. Ich bin sehr stolz, selbst erkannt zu haben, worauf meine unverdaulichen Gedanken letztendlich hinauslaufen: Wovor habe ich eigentlich Angst? Tada!

Ich meine nicht Angst im herkömmlichen Sinne. Also vor einem Virus, vor Einbrechern oder davor, kein Toilettenpapier mehr zu bekommen, weil andere meinten, alle Läden gleichzeitig leerkaufen zu müssen. Sowas macht mir schon lange nicht mehr zu schaffen, Gott sei Dank ist in Deutschland alles geregelt und ich brauche mir auch Gott sei Dank keine großen Sorgen um Materielles machen.

Gott sei Dank? Ich glaube nicht an Gott. Also an eine höhere Macht, die auch noch personifiziert ist. Die wie ein Götze angebetet wird. Dessen Macht missbraucht wird, Angst verbreitet, Menschen blendet und manipuliert. Sicher, vielen Menschen bietet die Religion einen ganz besonderen (Zusammen-) Halt, verbindet, gibt Sicherheit und spendet Trost in schweren Zeiten. Aber Glaube und Religion sind zwei verschiedene Dinge. Ich glaube nicht an Gott, an Zufall oder Schicksal. Ich glaube an Ursache und Wirkung, die Evolution und kausale Zusammenhänge.

Wenn ich diese Haltung auf den Glauben projiziere, dann glaube ich, ich bin mein Gott. Genauso wie Du dein Gott bist. Ich bin verantwortlich für mein Handeln, für die Entscheidungen, die ich treffe, die Konsequenzen, die daraus entstehen, für das, was ich sage und damit bewirke. Warum sollte jemand anderes mein Sein beeinflussen können?

Wie komme ich denn jetzt wieder zur Angst zurück? Hm... Wovor habe ich eigentlich Angst?
vor Verlust
Ich habe große Angst davor, Sachen zu verlieren, selbst wenn ich diese noch gar nicht habe. Ich musste viele Dinge aufgeben, die ich aufgrund meiner MS-Erkrankung einfach nicht mehr handhaben kann bzw. die mir nicht gut tun. Ich musste meinen Roller verkaufen wegen mangelnder Koordination in den Beinen und ich muss mein Fahrrad loswerden wegen nicht kontrollierbarem Tremor in beiden Armen. Mit den Zigaretten habe ich aufgehört, mit Alkohol auch. Meine Ehe ist nun seit vier Jahren vorbei und ich bin tieftraurig, auch meine Liebe verloren zu haben.

Das macht es mir fast unmöglich mit Frauen ein längeres, ernsthafteres Gespräch zu führen. Sobald ich auch nur eine Ahnung davon bekomme, wie es mit uns beiden wäre, zieh ich den Schwanz ein und hau ab. Der zweite Grund ist... dass ich meine Manneskraft verloren habe. Also ich bin immer noch ein Tier im Bett, damit DAS mal klar ist! Aber der kleine Alex... ich fürchte da hilft bald auch kein gutes Zureden oder Tabletten mehr. Vor mir selbst schäme ich mich nicht, wenn ich wieder mal mit blutender und geschwollener Nudel vorm Spiegel steh. Aber wie soll ich einer Frau erklären, dass ich untenrum einfach nicht empfindlich genug bin? Das macht mich fertig und lässt mich extrem zurückhaltend Frauen gegenüber sein. Ich kann alles mögliche organisieren und beeinflussen aber DAS kann ich, also Gott, nicht.

Ich schätze ich muss einfach weiterhin Vertrauen haben. Vertrauen in mich selbst. Denn ich bin mein Gott.

Blogpost teilen
hoch