Four hundred miles talking to myself
Me and your memory end up here
I tell myself, I'm gonna be alright
But it's still not clear
Wirklich, schon wieder? Ein Kapitel diesen Namens habe ich im Februar 2019 schonmal geschrieben, als ich mit dem ganzen Selbstreflektions-Ding hier begann. Ja scheiße, es ist wieder soweit, ein weiterer, individueller Meilenstein in Richtung Ungewissheit, ist passiert. Meine MS-Truppe wollte sich zur Abwechslung in dieser beschissenen und furchtbar belastenden Corona-Zeit mal wieder persönlich sehen. Natürlich unter 3G, also geimpft, genesen oder gestorben...äh...getestet. Ich habe das verwechselt mit 2G plus, das wäre getestet trotz geimpft oder genesen, gewesen. An diesem Tag hatte ich mir schlicht zu viel zugemutet. Ich saß im Auto auf dem Parkplatz vorm Kulturtreff, wo wir uns immer finden und weinte innerlich. Ich musste an meinen Freund Dirk denken und seiner Feststellung nicht mehr ganz beieinander zu sein. Du weißt schon Usedom, Medikament vergessen, nicht so wichtig. Gleichzeitig dachte ich an meine Psychotherapeutin. An meine Erfahrungen mit mir selbst auch. Ich habe mich an diesem Tag erstens übernommen und zweitens war ich nicht hundertprozentig bei der Sache. Das konnte ja nur schief gehen. Mich schockierte, dass meine wieder mal verminderte Belastungsfähigkeit, so plötzlich und so deutlich Einzug in meinen eh schon ziemlich reduzierten Alltag gehalten hat. "Ihr könnt mich alle mal am Arsch lecken!" sprach ich sehr warmherzig zu meinen Bewohnern und fuhr nach Hause. Ein sehr stiller Moment, geprägt von Angst und Unsicherheit, alles in mir schrie nach Hilfe und Trost. Fühlt sich so Sterben an? Nur das gelegentliche Aufheulen des Motors zeugte seltsam, mich höhnisch verspottend, von Leben. Das war an einem Donnerstag. Ich habe alle Termine und Verabredungen für die nächsten Tage abgesagt und auch meine Buddies habe ich nicht aufgesucht, um mir mit vermeintlich tröstenden Joints die Lichter auszuknipsen. Ich brauche Zeit für mich alleine.
Ein guter Freund hat mir seine, in die Jahre gekommene Spielkonsole, überlassen. Mithilfe ihrer Power rase ich nun mit einem AMG Mercedes nachts und bei Regen über die Nordschleife, um mich konsequent und sehr bewusst von meinen inneren Emotionen abzulenken. Das sind ca. 10 Minuten vollste Konzentration auf etwas völlig anderes als meine Melancholie, trotz aller verfügbaren Fahrhilfen. Oder ich erlöse in GTA ein paar NPCs von ihrem immer gleichen, digitalen, vorgezeichneten, langweiligen Dasein. Wobei die korrekte Steuerung von Figuren, Autos, Flugzeugen, Motorrädern etc. mit einem Gamepad in ermüdende Ergotherapie ausartet und mich schnell erschlaffen lässt. Die Feinmotorik, die zum ergebnisorientierten Zocken nötig ist, darf ich mir währenddessen fluchend und mühsam erzittern. Gefühlvolle und sachte, gar präzise Bewegungen der Joysticks und die nötige Kraft die Druckpunkte der vielen Tasten zu überwinden, fehlt. Ich spiele nicht online, das ständige Gemetzel, welches meiner Spielfigur angetan werden würde, wäre sehr nervtötend und frustrierend für mich. So checkt wenigstens niemand, wie ich sogar in digitalen Welten wie ein Betrunkener rumhampel, fluche und aufgebe. Nach spätestens einer halben Stunde schalte ich die Daddelkiste wegen sich steigernder Unfähigkeit wieder ab. Ich lasse mir von einer virtuellen Pseudorealität doch nicht die echte Wirklichkeit noch kaputter machen. Schließlich habe ich auch andere Dinge zu tun. Meine körperlichen Einschränkungen, die sich auch aufgrund der Fatigue immer häufiger und schneller bemerkbar machen, zwingen mich öfter als noch vor ein paar Monaten zu einer Pause. Pause bedeutet: hinlegen, Brille ab und Augen zu. Kein Mucks. Das mache ich z.b. nach dem Einkaufen auch. Alles was in den Kühlschrank gehört oder ins Eisfach, verstaue ich sofort nachdem ich alles besorgt und in meine Wohnung geschleppt habe. Danach geht's aber erstmal für 20 Minuten auf die Couch. Ich tue das mittlerweile einfach, anfänglich habe ich mich noch dagegen gewehrt. Dafür durfte ich dann öfter mal mit dem Rollstuhl durch meine Wohnung rangieren. Wenn ich es nämlich übertreibe, laufe ich wie meine Oma mit Verkalkung, vornübergebeugt und von Sturzgefahr bedroht, in die Küche, um mir was zu essen zu machen. Oder ich habe anderes ähnlich Banales vor. Man! Selbst das morgendliche Bettzeug ausschütteln artet schon in einer Art Kraftsport aus und lässt meine Arme ganz schön schwer werden. Das Problem ist nicht, dass ich manche Tätigkeiten kinderleicht gestalten könnte, sondern dass mein Geist dabei aufgrund seiner Wachheit gefühlt Alles wahrnimmt, selbst kleinsten Veränderungen Aufmerksamkeit schenkt und entsprechende Bedeutung zuschreibt. Ich kriege also sehr deutlich mit was alles nicht oder nicht mehr wie gewohnt funktioniert. Nämlich gerade dann wenn es sich um vermeintlich durchschnittliche Dinge handelt. Glücklicherweise konnte ich meine innere Grundgestimmtheit so anpassen und stärken, dass ich mit der gelegentlichen Widerspenstigkeit der Realität umgehen kann, ohne die ganze Zeit über traurig sein zu müssen. Die Tränen kullern manchmal einfach so urplötzlich aus meinen schönen Augen raus, nehmen mir die Sicht und tropfen alles voll. Das ganze gepaart mit Schnappatmung und schwerem Herzen. So nimmt mich doch keine mehr, denke ich dann oft und steigere mich in diese, aus der Luft gegriffene Annahme, hinein. Es sind jene immer gleichen Gedanken, vor allem bei jedem verfluchten Lied, wie schön es doch zu zweit ist oder auch nicht, bei jedem Film, jeder Reportage oder Doku, jedem Buch, jeder Geschichte in der in irgendeiner Form ein Wir, ein Uns, ein Gemeinsam oder ein Zusammen eine Rolle spielt. Könnte ich mich nur davon befreien wäre dies sicherlich eine furchtbare Entlastung, aber eben eine Entlastung meiner tief verletzten Seele. Wie du merkst ist es wieder einmal überaus schwer für mich, diesen Weg, den ich selbst nicht gewählt habe, anzunehmen und zu gehen. Ich werde diese lästigen Clowns im Würfelpark wohl nie wieder vollständig erlösen können.
Dieses Jahr waren Jasmin und ich im Varieté. Die Karten fürs GOP lagen wegen Corona ein Jahr lang in der Kiste. Schön war's, du hättest uns sehen müssen, in schicke Schale haben wir uns geschmissen. So richtig mit Anzug und Kleidchen, so wirklich hübsch gemacht, womöglich sogar geduscht, und diesmal mit meinem Rollator, natürlich. Wir haben viel gelacht. Nicht nur weil das Programm so lustig war, sondern auch weil wir uns so gefreut haben, endlich wieder mal nach langer Langeweile etwas Zerstreuung erleben zu dürfen. Zu jener Zeit hatte ich den Rollator noch im Kofferraum versteckt. Ich wollte damals nicht jedermann die Möglichkeit geben zu sehen, dass mein Auto einem Gehbehinderten Beine macht. Heute ist mir das scheißegal und Manfred steht im Fond meines Polos, an die Rücksitzbank gelehnt, immer bereit mir eine Stütze zu sein. Auch dieses Jahr waren wir auf einer Art Weihnachtsmarkt in den Herrenhäuser Gärten, hier in Hannover. Es war alles sehr bunt und voller Menschen dort und nicht so richtig barrierefrei. Mittlerweile habe ich ein geschärftes Auge für solche Sachen. Halb so wild wenn jemand da ist und hilft. Zu zweit ist vieles einfacher. Auf diesem Markt haben auch Künstler ihre Kunst angeboten. Entweder ich werde alt oder was, aber ich habe mich Hals über Kopf in zwei Figuren aus Beton verliebt. Jasmin war am selben Stand an etwas anderem interessiert und so haben wir bestimmt eine halbe Stunde mit der Künstlerin gequatscht. Am nächsten Tag hatte ich mit ihr, also der Künstlerin, ein Stelldichein anner Tanke. Dort habe ich Fred und Private erworben, die zwei bewachen nun meine Wohnung, wenn ich mal nicht da bin. Beide gucken immer ganz komisch, wenn ich mit dem Rollstuhl an ihnen vorbei tobe. Dabei haben die nicht mal ein Gesicht!
Diese scheiß Fatigue ist für mich vordergründig nur mit Kiffen erträglich. Meine eigentlichen Probleme, die die Kifferei zusätzlich unvermeidlich zu machen scheinen, haben ihren Ursprung auch in meiner kindlichen Vergangenheit und bloß bedingt mit der MS zu tun. Sehr langsam und mühsam nur kann ich mich von diesem Zwang bzw. von dieser trügerischen Insel der scheinbaren, vorübergehenden Glückseligkeit emanzipieren. Immer dann wenn ich etwas Anstrengendes hinter mich gebracht habe, verlangt mein Inneres nach Bewusstseinstrübung. Weil, dann kriege ich nicht mit, wie fertig, kaputt und erschöpft ich wirklich bin. Ich kriege mich nicht mit, mein Verstand, mein Geist, mein Selbst kriegt sich nicht mit. Ich bin hier in einem elendigen Teufelskreis gefangen, den ich schon seit langer, langer Zeit versuche zu durchbrechen. Dass ich ihn durchbrechen will habe ich irgendwo schonmal sehr deutlich aufgeschrieben. Jedoch, alleine schaffe ich das nicht. Meine Psychotherapeutin hilft mir dabei sehr zugewandt. Ich schreibe ihr jeden Tag eine Mail. Da steht drin: Ich musste heute nicht kiffen. Oder: Ich musste heute kiffen. Ey, das ist so verflucht selbstwirksam, das eine wie das andere auch. Entweder Stolz oder Scham. Eine ganz krasse Erfahrung genau wie meine Stimm-, Atem-, Sprachtherapie. Nick berührt mich psychologisch ebenso wie Brigitte, nur auf einer komplett anderen Ebene. Er animiert mich, bewegt mich, motiviert mich, zwingt mich liebevoll eingefahrene Gewohnheiten bewusst zu verwandeln, um sprachlich ausdrucksstark zu werden. Und zwar nicht nur dadurch was ich sage, sondern vor allem wie ich etwas sage. Das ist so betörend anders, bereichernd und anstrengend zugleich. Jeder ist seines Glückes Schmied, heißt es. Für mich ist vermeintlich nicht mehr so viel vorhanden, dass ich formen, ja schmieden könnte. Hm. Daher bin ich außerordentlich dankbar für die Möglichkeit meine Texte veröffentlichen und sogar professionell einsprechen lassen zu können. Als Podcast zu präsentieren und vielleicht Bedürfnisse verunsicherter Menschen, womöglich sogar auf unterhaltsame Art und Weise, bedienen zu können. Mit etwas das von mir bleibt und nachhaltig Bestand hat in unserer schnelllebigen Welt. Doch habe ich an diesem Projekt wirklich lange und ernsthaft gezweifelt. Gezweifelt ob ich es gut mache und ob es anderen gefällt. Nicht jeder ist von Haus aus Schmied. Der Zweifel lässt mich forschen und besonnen wachsen. So ganz langsam erkenne ich, dass ich wohl Schmied bin. Jemand der mutig genug ist, ungewohnte und nicht alltägliche Dinge zu versuchen. Auch wenn manchmal die Mühe der Muße zu viel abzuverlangen scheint. Die Fatigue wirft mich dabei immer wieder ein bisschen zurück, aber als Scheitern oder Versagen nehme ich das hoffentlich nicht mehr wahr…?
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back on the road I never chose